Labordiagnostik bei Verdacht auf Mastzellaktivierungssyndrom
Die Bedeutung der Mastzelle
Die Mastzellen gehören zum unspezifischen Immunsystem und sind Bestandteil fast jeden Gewebes unseres Körpers. Für gewöhnlich zirkulieren sie nicht im Blut und sitzen als Wächter vor allem angereichert an den Kontaktstellen zur Umwelt, wie Haut, Schleimhaut, Luftwege und MagenDarm-Trakt. Die Mastzellen wurden durch ihren prominenten IgE-Rezeptor (FcεRI) bisher vor allem als primäre Effektorzellen bei Typ-I-allergischen Erkrankungen angesehen. Sie haben jedoch in den letzten Jahren deutlich an Aufmerksamkeit in der Forschung und Medizin gewonnen. Durch ihre einzigartig vorhandene Vielfalt an Oberflächenrezeptoren, weit über den IgE-Rezeptor hinaus, sind sie durch eine Fülle an immunologischen sowie nicht-immunologischen Reizen aktivierbar. Die Mastzellaktivierung führt zur Degranulation und Neusynthese eines ebenfalls breiten Spektrums entzündlicher und immun-modulatorischer Botenstoffe (Abb. 1). Das erklärt ihre Beteiligung an vielen verschiedenen physiologischen und pathologischen Prozessen, wie z.B. der Blutdruckregulation, Wundheilung Darmmotilität, Angiogenese sowie der Schmerz- und Stressregulation.
Das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)
Unter dem Begriff Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) wird eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst, bei der Symptome durch eine übermäßige und unangemessene Freisetzung von zumeist pro-inflammatorischen Mastzellmediatoren ausgelöst werden. In Folge dessen können eine Reihe zum Teil sehr variabler Symptome auftreten, die multiple Organe betreffen können bis hin zur systemischen Anaphylaxie (Abb. 2).
Die Formen des MCAS
Bei den Mastzellerkrankungen werden prinzipiell 2 Hauptformen unterschieden:
1. Primäres MCAS (klonal):
Hierbei handelt es sich um klonale Mastzellerkrankungen, die primär auf aktivierenden KIT-Mutationen beruhen (zumeist KIT D816V). Es liegt somit eine vermehrte Anzahl an Mastzellen vor. Zu den assoziierten Erkrankungen gehören:
- Systemische Mastozytose (SM)
- Kutane Mastozytose (CM)
- Lokale Mastozytose (Mastzellsarkom)
2. Sekundäres MCAS (reaktiv):
Hierbei ist zwar die Anzahl der Mastzellen unauffällig, jedoch ist die Aktivierbarkeit (Reizbarkeit) der Mastzellen abnormal erhöht, z.B. als Folge von:
- systemischen Entzündungen
- instabilen Membranpotentialen
- multiplen, persistierenden Triggern
- noch unbekannten Ursachen (Mutationen oder Trigger)
Zu unterscheiden ist die erhöhte Reizbarkeit der Mastzellen von bestimmten Grunderkrankungen, die zu einer deutlichen Mastzellaktivierung führen können, allerdings dann eher als „Mastzell-assoziierte Erkrankungen“ zusammengefasst werden, wie z.B:
- IgE-vermittelte Allergie
- Autoimmune chronisch spontane Urtikaria
- Weitere Überempfindlichkeitsreaktionen (Pseudoallergie, Salycilatintoleranz,…)
- Parasitosen
Liegt eine abnormale Mastzellaktivierung vor, ohne dass ein bisher bekannter Auslöser nachgewiesen werden konnte (keine bisher bekannte Mutation nachweisbar, kein bestimmter Trigger nachweisbar), so wird die Diagnose idiopathisches MCAS mittels Ausschlussverfahren gestellt.
Diagnostik des MCAS
Für eine Diagnosestellung sollten die 3 Grundkriterien erfüllt sein:
- Typische klinische Symptome → durch Anamnese
- Abklingen der Symptome bei entsprechender Therapie (Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren, Cortison…) → durch Anamnese
- Nachweis pathologisch gesteigerter Mastzellmediatoren → durch Labordiagnostik
Die Labordiagnostik unterteilt sich dabei bei Verdacht auf MCAS in 2 Ebenen: dem Nachweis der Mastzellaktivierung an sich und der Identifikation des Auslösers.
Nachweis der Mastzellaktivierung
Der spezifischste Marker der Mastzellaktivierung ist die Tryptase im Serum. Während sie bei der systemischen Mastozytose (primäre MCAS) zumeist regelhaft erhöht vorliegt, können die Tryptase-Werte bei sekundärem und idiopathischem MCAS durchaus im Normbereich liegen. Als zusätzliches Bewertungskriterium ist demnach nicht allein der Basalwert entscheidend, sondern vielmehr der Anstieg des Tryptasewertes in einer symptombehafteten Episode (Basalwert*1,2 + 2µg/l).
Zusätzlich sollten weitere Parameter untersucht werden, die eine Mastzellaktivierung nachweisen können, wie z.B. das Histamin im Heparinblut und die Leukotriene im Urin (siehe Beispielbefund, Abb. 3). Da 11b-PGF2 als Abbauprodukt der Prostaglandine und die Leukotriene im Urin korrelieren, der Peak der Leukotriene jedoch länger vorliegt, sind die Leukotriene in der Analyse vorzuziehen. Das oft erwähnte N-Methylhistamin eignet sich aufgrund der fehlenden Sensitivität bei sekundärem und idiopathischem MCAS nicht als Mastzellaktivierungsmarker.
Identifikation von MCAS-Auslösern
Ist eine Mastzellaktivierung und somit ein Mastzell-assoziiertes Geschehen anhand mind. einer der beschriebenen Mastzell-Aktivierungsmarker nachgewiesen, sollte auf Ursachenfindung gegangen werden. Die Tabelle 1 fasst dabei mögliche diagnostische und differentialdiagnostische Ansatzpunkte auf, die jeweils verschiedene Grunderkrankungen definieren, auf der auch die Einteilungen des MCAS beruhen.
MCAS Form | Erkrankung | Parameter / Analyse |
---|---|---|
Primäres MCAS (klonal) | Mastozytose | Tryptase i.S.; GOF KIT-Mutation (Knochenmarks-/Gewebebiopsie) |
Sekundäres MCAS / Mastzell-assoziierte Erkrankungen (reaktiv) | Allergie | IgE i.S.; spez. IgE z.B. Symptomprofile; ALEX (Infos # 286; 317; 318; 122) |
Pseudoallergie | Basophilenaktivierungstest (BAT; Info #122; 104) | |
Autoimmune CSU | BAT Urtikaria (Info # 338); antiTPO; IgE i.S. | |
Parasitose | Direkter Erregernachweis im Blut/ Stuhl/Urin/Sputum; spez. Ak-Diagnostik | |
Idiopathisches MCAS | Ausschluss primäres MCAS; Ausschluss bisher bekannter Trigger/ Auslöser |
Differentialdiagnostik | Parameter / Analyse |
---|---|
Hereditäre Alpha-Tryptasämie (HaT) | Tryptase i. S.; Bestimmung der Kopienzahl des TPSAB1-Gens (Mundhöhlenabstrich) |
Histaminabbaustörung | Histamin im Heparinblut; DAO Aktivität i.S. (weiterführend: Info# 118) |
Mastzellaktivierung als Folge chronischer Entzündung | TNF-a i.S.; IL-6 i.S.(myeloische Immunaktivierung) IP-10 i.S. (T-lymphozytäre Immunaktivierung) |
Literatur
- M Krystel-Whittemore et. al. „Mast Cell: A Multi-Functional Master Cell“, Front Immunol. 2016, doi: 10.3389/fimmu.2015.00620. eCollection 2015.
- CW Jackson et. al. „Mastocytosis and Mast Cell Activation Disorders: Clearing the Air“, Int J Mol Sci 2021, doi: 10.3390/ijms222011270.
- RP Mendoza et. al. „Cellular Energetics of Mast Cell Development and Activation“, Cells 2021, doi.org/10.3390/cells10030524
- A Weber et. al. „Pattern analysis of human cutaneous mast cell populations by total body surface mapping“, Br J Dermatol 2003, doi: 10.1046/j. 1365-2133.2003.05090.x.
- CR Weiler „Mast Cell Activation Syndrome: Tools for Diagnosis and Differential Diagnosis“, J Allergy Clin Immunol Pract 2020, doi: 10.1016/j.jaip.2019.08.022.
- P Valent et. al., „Definitions, Criteria and Global Classification of Mast Cell Disorders with Special Reference to Mast Cell Activation Syndromes: A Consensus Proposal“, Int Arch Allergy Immunol 2012, DOI: 10.1159/000328760
- LB Afrin et. al. „Diagnosis of mast cell activation syndrome: a global “consensus-2”, Diagnosis 2021; doi.org/10.1515/dx-2020-0005
- CR Weiler et.al. „AAAAI Mast Cell Disorders Committee Work Group Report: Mast cell activation syndrome (MCAS) diagnosis and management“, J Allergy Clin Immunol 2019, doi: 10.1016/j.jaci.2019.08.023.
- P Valent et. al. „Proposed Diagnostic Algorithm for Patients With Suspected Mast Cell Activation Syndrome“, J Allergy Clin Immunol Pract, 2019, doi: 10.1016/j.jaip.2019.01.006.
- Y Yu et. al. „Non-IgE mediated mast cell activation“, Eur J Pharmacol 2016, doi: 10.1016/j.ejphar.2015.07.017