PDF Download

Wirkstoffbestimmung von Psychopharmaka Teil IV

Pharmakologische Besonderheiten ausgewählter SSRI und SSNRI

Mit dieser Diagnostik-Information setzen wir die Informationsreihe zum Therapeutischen Drug Monitoring (TDM) von Psychopharmaka fort. Unser Analysenspektrum wurde um weitere Parameter der Substanzgruppe SSRI und SSNRI aus der Klasse der Antidepressiva erweitert.

Update

Entgegen bisheriger Therapiestrategien konnte jetzt in mehreren Studien gezeigt werden, dass wie bei anderen Psychopharmaka auch bei SSRI und SSNRI die Wirkung eindeutig mit der applizierten Dosis korreliert. Weitere Ergebnisse zeigten, dass mit TDM geführten Therapien zu einem schnelleren Erreichen therapeutischer Blutkonzentrationen und damit zu einer signifikanten Steigerung der Remissionsrate führten.

Allgemeine Regeln zur Wirkstoffspiegel-Bestimmung

Medikamentenspiegel sollten prinzipiell im steady state (Fließgleichgewicht) und Talspiegel bestimmt werden. Das steady state wird in der Regel nach Ablauf von
5 Eliminations-Halbwertzeiten des verabreichten Wirkstoffes erreicht. Fragen Sie uns bitte bei Bedarf nach dem Arbeitsmaterial „Steady State Zeiten ausgewählter Medikamente“. Den Talspiegel erreichen Sie mit einer Blutabnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme.

Im Falle einer Therapie mit SSRI und SSNRI wird eine Bestimmung der Wirkstoffkonzentration im Blut angeraten bei:

  • Problemen mit der Patientencompliance
  • Fehlendem, vermindertem oder verzögert einsetzen¬dem Therapieerfolg
  • Nebenwirkungen oder Anzeichen toxischer Wirkungen
  • Bei Therapiebeginn, Dosisänderung oder Kombina¬tion mit weiteren, die Verstoffwechselung von SSRI/SSNRI beeinflussenden Medikamenten

Wirkung

Bei den Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und Selektiven Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) handelt es sich um sogenannte neue Antidepressiva. Die Wirkung besteht in der selektiven Blockade des Transportproteins für Serotonin bzw. für Noradrenalin und damit der Verhinderung der Wiederaufnahme der Transmitter aus dem synaptischen Spalt.
Die Wirkung der SSRI und SSNRI ist im Vergleich zu den klassischen Tricyklischen Antidepressiva (TCA) schwächer ausgeprägt. Die Verträglichkeit wird aufgrund der vergleichsweise geringen Nebenwirkungen als besser eingeschätzt.

SSRI und SSNRI werden daher vorrangig bei leichten und mittelschweren Depressionen eingesetzt. Wie auch bei den TCA setzt die antidepressive Wirkung nach ca. 1 – 3 Wochen ein.

Pharmakokinetik

Nach oraler Gabe werden SSRI und SSNRI schnell und vollständige resorbiert. Die maximalen Serumkonzentrationen sind nach ca. 1 – 8 Stunden zu erwarten. Die Elimination erfolgt vorwiegend hepatisch. Die Eliminationshalbwertzeiten schwanken zwischen 5 Stunden und mehreren Tagen. Einige Medikamente werden zu aktiven Metaboliten verstoffwechselt. Die empfohlenen therapeutischen Bereiche beziehen sich hier auf die Summe beider Wirkkomponenten. Das Verhältnis Metabolit zu Muttersubstanz (Tabelle 1) ist dabei von verschiedenen Faktoren, wie Arzneimittelinteraktionen oder Pharmakogenetik abhängig (Tabelle 2).

Arzneimittelinteraktionen

SSRIs und SSNRIs werden überwiegend durch Cytochrom (CYP)-P450-Enzyme metabolisiert. Daraus resultiert ein hohes Interaktionspotential. Bei der gleich-zeitigen Anwendung weiterer Medikamente, die über dieselben Enzyme verstoffwechselt werden, ist die Kontrolle der Wirkstoffkonzentrationen im Blut indiziert. Die Bedeutung der CYP-Familien für die Metabolisierung von SSRI und SSNRI, sowie der hemmende Effekt auf die CYP450-Enzyme sind in Tabelle 2 dargestellt.

Medikamente, die die Wirkungen und Nebenwirkungen der SSRIs und SSNRIs beeinflussen und somit zu Interaktionen führen können, sind:

  • Inhibitoren von CYP2C19 (Omeprazol, Esomeprazol, Felbamat, Isoniazid, Fluvoxamin, Fluoxetin, Moclobemid)
  • Inhibitoren von CYP2C9 (Valproinsäure, Azol-Antimykotika)
  • Inhibitoren von CYP2D6 (Bupropion, Cimetidin, Metoprolol, Propranolol  Levomepromazin, Melperon, Metoclopramid, Moclobemid, Paroxetin, Fluoxetin, Duloxetin, Propafenon)
  • Inhibitoren von CYP3A4 (Azol-Antimykotika, Makrolid-Antibiotika, Amiodaron, Cimetidin, Nelfinavir, Indinavir, Ritonavir, Saquinavir, Verapamil)
  • Induktoren von CYP3A4 und partiell auch von CYP2C19, CYP2C9 und CYP2D6 (Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Dexamethason, Rifampicin,  Efavirenz, Rifabutin, Johanniskraut)

Genetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)

SSRI und SSNRI werden durch die Enzyme der CYP450-Familie verstoffwechselt (Tabelle 2). Für CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2D6 sind genetische Varianten beschrieben, die zu klinisch relevanten Enzymaktivitätsänderungen führen und somit einen entscheidenden Einfluss auf den Metabolismus der Arzneistoffe haben können. Das Verhältnis Metabolit zu Muttersubstanz kann teilweise (z. B. Venlafaxin) bereits phänotypisch erste Anhaltspunkte über einen möglichen Einfluss genetischer Polymorphismen auf den Arzneistoffwechsel geben.

Einfluss genetischer Faktoren auf die Wirksamkeit von SSRI (Pharmakodynamik) bei normalem Wirkspiegel

Trotz normaler Wirkspiegel sprechen rund ein Drittel der depressiven Patienten nur unzureichend auf eine Behandlung mit SSRI an. Ursache für die variable Wirksamkeit können genetische Unterschiede in Transport- sowie Rezeptorproteinen sein.

Die Ansprechbarkeit auf eine SSRI-Therapie ist signifikant von der funktionellen Variabilität des Serotonintransporters abhängig, welche durch einen Längenpolymorphismus in der Promotorregion bestimmt wird. Depressive Patienten, die eine verkürzte (`K`) Variante des Serotonintransporter-Gens (5-HTTLPR) auf einem Chromosom tragen (Genotyp K/L), sprechen zeitlich verzögert auf eine SSRI-Therapie an und könnten laut einer Studie von Smits et al. eher von einer Therapie mit TCA oder SSNRI profitieren. Zusätzlich besteht für Patienten, die die kurze Variante auf beiden Chromosomen tragen (Genotyp K/K), eine erhöhte Rezidivrate hinsicht¬lich depressiver Episoden.

Genetische Varianten innerhalb der Serotoninrezeptoren sind ebenfalls mit der Ansprechbarkeit auf eine SSRI-Therapie sowie mit dem Auftreten von Nebenwirkungen assoziiert. Ein Polymorphismus im Serotoninrezeptor 2A-Gen (HTR2A - rs7997012) führt bei Trägern der varianten Form zu einem schlechteren Ansprechen von Citalopram, während ein anderer Polymorphismus im HTR2A-Gen (102T>C) mit einem erhöhten Auftreten unerwünschter Arzneiwirkungen unter Paroxetin-Therapie assoziiert ist.

Anforderung und Befundbewertung

Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln beinhaltet sowohl die Interpretation der Konzentrationen in Bezug auf den empfohlenen therapeutischen Bereich als auch die Beurteilung der applizierten Dosis, der Begleitmedikation und weiterer Erkrankungen. Um die dafür notwendigen Informationen zu erhalten, bitten wir Sie deshalb, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden.

Abrechnung

Die Medikamentenspiegelbestimmung ist im kurativen Fall ohne Einschränkung im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten. Pharmakogenetische Untersuchungen werden von privaten und bei einigen Indikationen (siehe Anforderungsschein Medikamentenspiegelbestimmung / Pharmakogenetik) auch von gesetzlichen Kassen getragen. Als molekulargenetische Untersuchung ist die Anforderung vom Laborbudget befreit. (Ziffer 32010).

Material

Wirkstoffbestimmung: Serum/Vollblut (Blutentnahme im steady state unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)
Pharmakogenetik /Serotonin-Transporter: EDTA-Blut und Einwilligungserklärung
Rezeptoren: (in Ausnahmefällen 2 Mundschleimhautabstriche)

Literatur

  • div. Fachinformationen (Fluctin, Lilly, Stand November 2009; Trevilor, Pfizer, Stand Februar 2010; Cipralex, Lundbeck, Stand Juni 2010; Cipramil, Lundbeck, Stand Juni 2010; Zoloft, Pfizer, Stand Juni 2010; Cymbalta, Lilly, Stand Juli 2010; Fluvoxamin, STADA, Stand September 2008; ParoxetinSandoz, Stand Mai 2010;
  • Kutscher &. Alexander, Journal of Pharmacy Practice, 2007.
  • Baumann, P. et al.:The AGNP-TDM Expert Group Consensus.
  • Guidelines: TDM in Psychiatry; Pharmacopsychiatry 2004.
  • AGNP-TDM Expert Group Consensus Guidelines 2011, in press.
  • McMahon et al. (2006): Variation in the gene encoding the serotonin 2A receptor is associated with outcome of antide¬pressant treatment. Am J Hum Genet. 78(5):804-14.
  • Serretti A, Kato M, De Ronchi D, Kinoshita T (2007): Meta-analysis of serotonin transporter gene promoter polymorphism (5-HTTLPR) association with selective serotonin reuptake inhi¬bitor efficacy in depressed patients. Mol Psychiatry 12:247-257.
  • Smits et al. (2007) Does pretreatment testing for serotonin transporter polymorphisms lead to earlier effects of drug treat¬ment in patients with major depression? Clinical Therapeutics 29:691-702.
  • Wilkie et al. (2008): Polymorphisms in the SLC6A4 and HTR2A genes influence treatment outcome following antidepressant therapy. Pharmacogenomics J. 9(1):61-70.