Wirkstoffbestimmung von Psychopharmaka Teil II - Pharmakologische Besonderheiten ausgewählter Benzodiazepine
Mit dieser Diagnostikinfo erhalten Sie den Teil II unserer Fortsetzungsreihe zur Wirkstoffbestimmung von Psychopharmaka. Nach Teil I zu den tri- und tetracyklischen Antidepressiva (TCA) erfolgen hier nun Ausführungen zu den Benzodiazepinen. Teil III wird sich dann mit den Neuroleptika befassen.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Alle Wirkstoffe der Gruppe Benzodiazepine unterliegen der Gesetzgebung des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) und sind damit in Abhängigkeit von Dosis und Darreichungsform verschreibungspflichtig (mit/ohne Betäubungsmittelrezept). Die Wirkung der Benzodiazepine kann in 4 Hauptgruppen eingeteilt werden
- angstlösend
- sedativ/hypnotisch
- muskelrelaxierend
- antiepileptisch.
Die Nebenwirkungen seien hier nur beispielhaft genannt:
- Kurzzeitnebenwirkungen (Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Reflexdämpfung…)
- Langzeitnebenwirkungen (psychische und körperliche Abhängigkeit, Ataxie, Verwirrtheit…)
- Weitere Nebenwirkungen (Allergie, Desorientierung…)
Benzodiazepine sind plazentagängig.
Pharmakokinetik
Die Benzodiazepine werden vollständig über die Leber metabolisiert und durch die Niere ausgeschieden. Zum Teil entstehen beim Abbau der beschriebenen Benzodiazepine aktive Metabolite, die ihrerseits teilweise auch als Muttersubstanz eingesetzt werden (Abb. 1).
Im Alter und bei Lebererkrankungen ist die Metabolisie-rung der Benzodiazepine teilweise erheblich vermindert – es besteht Intoxikationsgefahr!
Benzodiazepingruppe mit Verstoffwechselung zu Nordiazepam/Oxazepam (Abb. 1, Tabelle 1)
Besondere Beachtung verdient die ineinanderlaufende Verstoffwechselung von Diazepam, Chlordiazepoxid, Nordiazepam, Temazepam, Medazepam, Prazepam, Dikaliumclorazepat und Oxazepam. Die entstehenden aktiven Metabolite haben oftmals eine längere Halbwert-zeit als die Muttersubstanz, was zu einer Kumulation aktiver Substanzen führen kann. Da wir alle aufgeführten Substanzen quantitativ nachweisen können, erhalten Sie ohne zusätzliche Berechnung die Wirkspiegel der jeweils aktiven Metaboliten. Leider sind noch nicht für alle Metabolite die jeweiligen therapeutischen Bereiche bekannt. Die Messwerte fließen aber in unseren Befund insbeson-dere zur Talspiegel-, Compliance- und Verstoffwechselungsbeurteilung ein.
Arzneimittelinteraktionen
Wirkungsverstärkung von Benzodiazepine
Bei gleichzeitiger Anwendung mit anderen zentral wirksamen Mitteln (Psychopharmaka, Antiepileptika, Antidepressiva, Analgetika, Antihistaminika, Alkohol, Lithium) kann es zur gegenseitigen Wirkungsverstärkung kommen.
Verschiedene Medikamente (Cimetidin, Fluoxetin, Diltiazem, Erythromycin, Clarithromycin, Itroconazol, Ketoconazol) verzögern die Phase I-Metabolisierung (CYP3A4-Inhibition) und können dadurch eine Kumulation verursachen.
Wirkungsverstärkung anderer Medikamente durch Benzodiazepine
Benzodiazepine können zu einer Wirkungsverstärkung bei Muskelrelaxanzien, Analgetika und Lachgas führen.
In seltenen Fällen kann Diazepam den Metabolismus von Phenytoin hemmen und damit dessen Wirkung verstärken.
Wirkungsveränderung
Unter Dauerbehandlung mit zentral wirkenden Antihypertonika, Betablockern und Antikoagulanzien sind Wechselwirkungen mit Benzodiazepinen möglich. Art und Umfang sind aber nicht vorhersehbar.
Die gleichzeitige Einnahme von Clozapin und Benzodiazepinen kann das Risiko eines Kreislaufkollaps erhöhen, der auch zu Herz- und Atemstillstand führen kann.
Wirkungsminderung von Benzodiazepinen
Phenytoin und Barbiturate (Phenobarbital) induzieren den Abbau von Diazepam und führen damit zur Wirkungsverminderung.
Benzodiazepine und Rauchen
Inhalierte Bestandteile (Benzpyrene?) beim Nikotinrauchen induzieren das metabolisierende Enzym CYP1A2 in der Leber. Das hat zur Folge, dass z.B. Chlordiazepoxid, Diazepam und Bromazepam beim Raucher schneller ausgeschieden werden und die effiziente Therapie unter Umständen eine höhere Dosis erforderlich macht.
Genetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)
Auch für Benzodiazepine sind pharmakologisch wirksame Polymorphismen der Medikamentenverstoffwechselung beschrieben. Wir möchten an dieser Stelle auf unsere ausführlichen Ausführungen zur Pharmakogenetik in der Diagnostikinformation Teil I (tri- und tetracyklische Antidepressiva) und die letzte Spalte in den Tabellen 1 und 2 verweisen.
Anforderung und Befundbewertung
Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln stellt nicht die Einordnung eines gemessenen Wertes in einen therapeutischen Bereich dar. Sie schließt viel mehr ein:
- die Beurteilung der eingesetzten Dosis zum gemessenen Blutspiegel: Dosis-Wirkspiegel-Diskrepanz
- Einfluss von Talspiegel und steady state
- Interaktionen mit weiterer psychiatrischer und internistischer Beimedikation
- Einfluss von Leber- und Nierenerkrankungen
Um diese Aussagen treffen zu können, werden Informationen von Ihnen benötigt. Deshalb bitten wir Sie, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden. Diesen erhalten Sie von Ihrem Praxisbetreuer (030-7700202). Wir erläutern Ihnen das Vorgehen gern in einem persönlichen Gespräch.
Allgemeine Regeln zur Wirkstoffspiegelbestimmung
Die allgemeinen Regeln für die Abnahme von Blut für die Medikamentenspiegelbestimmung haben wir ausführlich in der Diagnostikinformation 197 Wirkstoffbestimmung von Psychopharmaka Teil I Tri- und tetracyklische Antidepressiva dargelegt und möchten hier nur darauf verweisen.
Methode, Abrechnung und Material
Die Wirkspiegelmessung der Benzodiazepine erfolgt mittels Flüssigkeitschromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS/MS).
Die Abrechnung der Wirkstoffspiegelbestimmung und der pharmakogenetischen Diagnostik (budgetbefreit) ist im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten.
Material
Wirkstoffbestimmung: Serum/Vollblut (Blutentnahme im steady state unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)
Pharmakogenetik: EDTA-Blut oder Schleimhautabstrich
Literatur
- Schulz, M., Schmoldt, A.: Therapeutic and toxic blood concentrations of more than 800 drugs and other xenobiotics. Pharmazie 58 (2003) 7; 447 - 474
- TIAFT reference blood level list of therapeutic and toxic substances. September 2004
- Baumann, P. et al.:The AGNP-TDM Expert Group Consensus Guidelines: TDM in Psychiatry; Pharmacopsychiatry 2004; 37:243-265
- Rote Liste 2006
- Karow, T., Lang-Roth, R.: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2006
- Külpmann, W.R.: Klinisch-toxikologische Analytik 2002
- F.-P. Schmidt