Wirkstoffbestimmung von Psychopharmaka Teil I
Pharmakologische Besonderheiten ausgewählter tri- und tetracyklischer Antidepressiva (TCA)
Mit der bei uns seit November 2005 eingesetzten Methode LC-MS/MS sind nunmehr auch verschiedene, häufig eingesetzte Psychopharmaka und aktive Metabolite sicher nachweisbar. Mit dieser Diagnostikinfo beginnen wir eine Fortsetzungsreihe. Es folgen in Kürze weiterführende Schriften zu den Benzodiazepinen und zu den Neuroleptika.
Allgemeine Regeln zur Wirkstoffspiegel-Bestimmung
Medikamentenspiegel sollten prinzipiell im steady state (Fließgleichgewicht) bestimmt werden. Dieses wird in der Regel nach Ablauf von 5 Eliminations-Halbwertzeiten (siehe Spalten 3/4 der Tabelle) des verabreichten Medikamentes erreicht. Praktisch bedeutet dies, dass die eigentliche Blutabnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme im Talspiegel erfolgt. Im Falle einer Therapie mit TCA wird eine Bestimmung der Wirkstoffkonzentration im Blut angeraten bei:
- Problemen mit der Patientencompliance
- Fehlendem, vermindertem oder verzögert einsetzendem Therapieerfolg
- Nebenwirkungen oder Anzeichen toxischer Wirkungen
- Kombinationstherapie
- Bei Therapiebeginn bzw. Dosisänderung anderer Medikamente mit dem gleichen Verstoffwechselungs- und Ausscheidungsweg (Pharmakogenetik und - kinetik)Medikamentenspiegelbestimmungen helfen, Schaden vom Patienten abzuhalten, Kosten für Medikamente zu senken und Therapien effektiver zu gestalten.
Wirkung
Bei der Beurteilung der Wirkung von
- Akuteffekten (Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin im synaptischen Spalt) und
- Langzeiteffekten (Veränderungen zentralnervöser Rezeptoren)
unterschieden werden. Die depressionslösende Wirkung tritt als letzte Wirkung erst nach 2 - 3 Wochen ein. Die derzeit verwendeten TCA zeichnen sich durch die nachfolgend aufgeführten klinischen Hauptwirkungen aus:
- depressionslösend und stimmungsaufhellend
- psychomotorisch stimulierend• angstlösend
- sedierend
Pharmakokinetik
Nach oraler Gabe erfolgt eine schnelle und vollständige Resorption der TCA. Die höchsten Plasmaspiegel sind ca. 2 - 8 Stunden nach Resorption zu erwarten. Die TCA sind sehr stark an die Plasmaproteine gebunden. Die Elimination erfolgt vorwiegend hepatisch. Es entstehen eine Anzahl aktiver Metabolite (siehe Spalte 1 der Tabelle), die zum Teil auch als Medikament eingesetzt werden.
Arzneimittelinteraktionen
Medikamente, die die Wirkungen und Nebenwirkungen der TCA beeinflussen und somit zu Interaktionen führen können, sind:
- Alkohol, ältere Antihistaminika, Barbiturate, Benzodiazepine, Hypnotika, Narkotika, Neuroleptika, Opioide, Muskelrelaxantien: Sedierung
- Atropin, Antiparkinson-Medikamente, Sympathomimetika: Anticholinergische Wirkung
- MAO-Inhibitoren: Agitation
- Amiodaron, Chinidin, evtl. weitere Antiarrhythmika: Kardiale Wirkung
- Clonidin, Guanethidin, MethyldopaGenetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)
Viele Antidepressiva werden durch die Enzyme der Zytochrom-P450-Enzymfamilie abgebaut. Für CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2D6 sind genetische Varianten beschrieben, die zu klinisch relevanten Enzymaktivitätsänderungen führen und einen entscheidenden Einfluss auf den Metabolismus der Arzneistoffe haben können. Die Erkennung dieser interindividuellen genetischen Unterschiede erlaubt eine Genotyp-abhängige Dosisanpassung für Antidepressiva (siehe auch Tabelle und Diagnostik-Info 03/0206).
Anforderung und Befundbewertung
Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln beinhaltet nicht allein die Einordnung eines Wertes in einen therapeutischen Bereich. Sie schließt die Beurteilung der eingesetzten Dosis, der Begleittherapien und weitere Erkrankungen ein. Um die relevanten Informationen zu erhalten, bitten wir Sie deshalb, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden.
Material und Abrechnung
Die Medikamentenspiegelbestimmung und die Genotypisierung sind im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten.
Material
Wirkstoffbestimmung: Serum/Vollblut (Blutentnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)
Pharmakogenetik: EDTA-Blut
Wirkstoff | Wirkbereich (µg/l) | Eliminations- | Früheste Blutabnahme zur (Tage danach) | Empfohlene pharmakogenetische | |||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Mutter-substanz | Aktiver Metabolit | Therapeu-tisch | Toxisch | Letal/ Koma- | |||
Amitriptylin |
Nortriptylin1 | 50 - 300 | > 500 | > 1500 | 30 – 50 | ~ 122 | CYP2C19, CYP2D6, CYP1A2, CYP2C9 |
70 - 170 | > 500 | > 1000 | 18 – 56 | ~ 12 | CYP2D6, CYP2C19, CYP1A2 | ||
? Amitriptilin/ | 80 - 200 | > 500 | > 1500 | Entfällt | Entfällt | Entfällt | |
Clomipramin |
Norclomi-pramin | 90 - 250 | > 400 | > 1000 | 20 – 26 | ~ 6 | CYP2C19, CYP1A2, CYP2D6 |
k.A. | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. | CYP2D6 | ||
? Clomi-pramin/Nor-clomipramin | 175 - 450 | > 400 | > 1000 | Entfällt | Entfällt | Entfällt | |
Clozapin |
Norclozapin | 350 - 600 | > 800 | > 3000 | 6 – 14 | ~ 3 | CYP1A2, CYP2D6, CYP2C19 |
100 - 600 | > 700 | k.A. | k.A. | k.A. | CYP1A2 | ||
Doxepin |
Nordoxepin | 20 - 150 | > 100 | > 1000 | 8 – 25 | ~ 6 | CYP1A2, CYP2C19, CYP2D6 |
k.A. | > 500 | > 2000 | k.A. | k.A. | k.A. | ||
? Doxepin/ Nordoxepin | 50 - 150 | k.A. | k.A. | Entfällt | Entfällt | ||
Imipramin |
Desipramin1 | 45 – 150 | > 400 | > 2000 | 6 – 20 | ~ 62 | CYP1A2, CYP2D6, CYP2C19, CYP2C9, |
100 - 300 | > 500 | > 3000 | 15 – 25 | ~ 6 | CYP2D6, CYP2C19, CYP1A2 | ||
? Imipramin/ Desipramin | 175 - 300 | > 500 | > 4500 | Entfällt | Entfällt | Entfällt | |
Maprotilin | - | 125 - 200 | > 300 | > 1000 | 20 – 60 | ~ 13 | CYP2D6, CYP1A2 |
Trimipramin | - | 150 - 350 | > 500 | > 1700 | 10 -20 (40) | ~ 8 | CYP2D6, CYP2C19, CYP2C9 |
Literaturauswahl
- Schulz, M., Schmoldt, A.: Therapeutic and toxic blood concentrations of more than 800 drugs and other xenobiotics. Pharmazie 58 (2003) 7; 447 - 474
- TIAFT reference blood level list of therapeutic and toxic substances. September 2004
- Baumann, P. et al.:The AGNP-TDM Expert Group Consensus Guidelines: TDM in Psychiatry; Pharmacopsychiatry 2004; 37:243-265 1 Desipramin und Nortriptylin sind einerseits aktive Metabolite, werden aber ebenfalls als Wirkstoff eingesetzt. 2 Zeit bis Erreichen des steady state inklusive aktivem Metabolit