Pharmakologische Besonderheiten ausgewählter Antikonvulsiva (Antiepileptika, AED)
Eine moderne Epilepsiebehandlung ohne den Einsatz antiepileptisch wirkender Medikamente ist heute nicht mehr denkbar. Die Ziele sind dabei, durch Verminderung der Anfallsfrequenz die Lebensqualität weitgehend zu verbessern und Spätfolgen zu vermeiden. Antiepileptika können, wie jedes Medikament, nur optimal wirken, wenn am Zielort die Wirkdosis erreicht und aufrechterhalten wird. Die Zieldosis hängt dabei von dem Verhältnis zwischen klinischer Wirksamkeit und Verträglichkeit (Nebenwirkungen) ab.
Indikation zur Spiegelkontrolle
Im Falle einer Antikonvulsiva-Therapie wird eine Bestimmung der Wirkstoffkonzentration im Blut angeraten bei:
- Nebenwirkungen
- fehlendem Therapieerfolg
- Problemen mit der Patienten-Compliance und
- Kombinationstherapie.
Viele Antiepileptika führen zu Interaktionen mit anderen Medikamenten. Durch Enzyminduktion bzw. –inhibition wird die Biotransformation anderer Pharmaka (auch Antikonvulsiva) beschleunigt oder gehemmt. Diese Ungleichheiten in der Metabolisierung können zu unterschiedlichem Medikamentenspiegel im Blut bei einzelnen Patienten und damit verbundenen Über- oder Unterdosierungen führen.
Empfohlener Kontrollzeitpunkt
Medikamentenspiegel sollten prinzipiell zu festen Zeitpunkten bestimmt werden. Praktisch bedeutet dies, dass die Blutabnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme erfolgt (Talspiegel). Bei Therapiebeginn und nach Änderungen in der Medikation muss das Erreichen des steady state (Fließgleichgewicht) - die Aufsättigungsphase - abgewartet werden, bevor die Blutspiegel aussagefähig sind. Ein steady state ist immer dann erreicht, wenn die Blutkonzentration des Wirkstoffes im Gleichgewicht mit der Konzentration am Rezeptor steht. Dieses wird in der Regel nach Ablauf von fünf Halbwertszeiten des verabreichten Medikamentes erreicht.
Pharmazeutische Gruppen der AED
Zu den Antikonvulsiva zählen u.a. die Wirkstoffe Carbamazepin, Ethosuximid, Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Sultiam, Topiramat und Valproinsäure.
Biochemische Wirkung der AED
Antiepileptika entfalten verschiedene Wirkungen an Ionenkanälen und Rezeptoren. Gegenwärtig wird nach vier Hauptwirkungen unterschieden:
- Neurone, die den Transmitter Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) verwenden, wirken hemmend im zentralen Nervensystem und können eine Ausbreitung epileptischer Anfälle einschränken. Steigerung der GABA-vermittelnden Hemmung / Wirkung am GABA-Rezeptor und dadurch auch Beeinflussung der Cl - Ströme – z.B. Phenobarbital, Primidon, Valproinsäure, Topiramat
- Blockierung der Glutamatströme – z.B. Topiramat, Lamotrigin
- Werden spannungsabhängige Natriumkanäle blockiert, lässt sich eine wiederholte Entladung von Neuronen unterdrücken. Reduktion des Na+-Einstromes – z.B. Valproinsäure, Lamotrigin, Phenytoin, Topiramat, Carbamazepin, Oxcarbazepin
- Calciumkanäle im Thalamus erzeugen Ströme, die als Schrittmacher von Erregungen gelten, welche wiederum eng an generalisierte Epilepsien gekoppelt sind. Blockierung der Kanäle – z.B. Ethosuximid, Valproinsäure
Dabei wirken einige Antiepileptika vermutlich über mehrere Mechanismen. Nicht alles ist derzeit vollständig geklärt.
Analytik
Außer bei Valproinsäure wird die Messung mit der HPLC (Hochdruckflüssigkeitschromatographie) durchgeführt. Diese erlaubt eine spezifische Diagnostik der Muttersubstanz sowie der wirksamen Metabolite, was mit den Enzymimmunoassays unmöglich ist.
In der nachfolgenden Tabelle sind neben empfohlenen Wirkspiegeln, toxischen Bereichen, wirksamen Metaboliten, auch pharmakogenetische As-pekte aufgeführt. Für weitere Informationen zur Genetik der Entgiftung und Medikamentenverstoffwechselung verweisen wir auf unsere Diagnostik-Information zu diesem Thema (Nr. 28-905).
Material
für Wirkstoffbestimmung: Serum (frisch, gekühlt)
für Pharmakogenetik: EDTA-Blut
Wirkstoff | Therap. Bereich / Toxischer Bereich | max. Serum- konzentration nach | Eliminations- halbwertzeit | Wirksame Metabolite / Therap. Bereich (Eliminationshalbwertzeit) | einige mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten | Empfohlene pharmakogenetische Diagnostik (Material: EDTA-Blut) |
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Carbamazepin | 4 – 10 mg/l | 8 – 12 h | 24 – 48 h | Carbamazepin-epoxid / | Wirkungsver-minderung | CYP2C19, CYP1A2 |
Ethosuximid | 40 – 100 mg/l | 1 – 7 h | 50 – 68 h (Erw.) | keine aktiven Metabolite | Wirkungsver-minderung VPA | zur Zeit keine |
Gabapentin | 2 – 10 mg/l | 2 – 3 h | 5 – 7 h | keine aktiven Metabolite | In Kombination | zur Zeit keine |
Lamotrigin | 1 – 5 mg/l (Erw.) 5 – 14 mg/l (Kinder) | 1 – 3 h | 14 – 50 h | keine aktiven Metabolite | Wirkungsver-minderung PHT, | zur Zeit keine |
Oxcarbazepin | < 3 mg/l | 1 h | 1 – 2,5 h | 10-OH-Carbazepin / | Wirkungsver- | zur Zeit keine |
Phenobarbital | 10 – 40 mg/l | 6 – 18 h | 72 – 96 h | keine aktiven Metabolite | Wirkungsver-minderung | CYP2C9, CYP2C19 |
Phenytoin | 10 – 20 mg/l (Erw.) 6 – 14 mg/l (Kinder) | 3 – 12 h | 15 – 24 h 1 | keine aktiven Metabolite | Wirkungsver-minderung | CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 |
Primidon | 5 – 15 mg/l | 2 – 4 h | 3 – 12 h | Phenobarbital / | Wirkungsver-minderung | CYP2C9, CYP2C19 |
Sultiam | 6 – 10 mg/l (Erw.) 1 – 5 mg/l (Kinder) | k. A. | 3 – 30 h | keine aktiven Metabolite | Wirkungsver- | k. A. |
Topiramat | 1 – 10 mg/l | 2 – 4 h | 20 – 30 h | keine aktiven Metabolite | Wirkungsver- | CYP2C19 |
Valproinsäure (VPA) | 50 – 100 mg/l | 1 – 4 h | 8 – 15 h | keine aktiven Metabolite | Wirkungser- | zur Zeit keine |
Literatur
- Estler, C.-J.: Pharmakologie und Toxikologie. 5. überarb. Aufl., Schattauer Verlag
- Therapeutic and toxic blood concentrations of more than 800 drugs and other xenobiotcs. Pharmazie 58 (2003).