Komplementdefekte bei bakteriellen Infekten und Autoimmunerkrankungen
Das Komplementsystem, ursprünglich als komplementierender Teil der Antikörperantwort entdeckt, gehört zum unspezifischen humoralen Immunsystem und besteht einschließlich seiner Regulatorproteine aus mehr als 35 verschiedenen Plasmaeiweißen.
Das Komplementsystem kann über 3 Wege aktiviert werden: den klassischen, den alternativen und den Lektinweg. Alle bestehen aus einer Kaskade von regulierten Proteinspaltungen und führen zur Aktivierung von C3, dem zentralen Schritt der Komplementaktivierung. Durch Beteiligung der Komponenten C5-C9 entsteht der lytische Membranangriffskomplex (MAC), der in der Lage ist, z.B. Zielzellen oder Bakterien zu lysieren. Zu den Effektorfunktionen des Komplementsystems gehören dementsprechend die Elimination zahlreicher extrazellulärer und auch intrazellulär persistierender Bakterien (Lyse von Antikörper-beladenen Zielzellen), die Elimination von Immunkomplexen sowie das Anlocken von Entzündungszellen (Chemotaxis).
Leitsymptome von Komplementdefekten
- Patienten mit Defekten von C1, C4 und C2 haben gelegentlich eine Infektneigung, typischer ist aber die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen.
- Patienten mit C1-Inhibitormangel entwickeln oft ein hereditäres Angioödem. Ähnliche Symptome finden sich beim Mangel an C4-bindendem Protein, beim Anaphylatoxin-Inaktivator-Mangel und beim Mangel an Faktor I.
- Bei allen anderen Defekten dominieren Infektionen mit extrazellulären oder intrazelluären Bakterien. Die Manifestation kann in jedem Lebensalter stattfinden. Am komplikationsträchtigsten sind Infektionen mit Meningokokken.
Diagnostik
Die Diagnostik des Komplementsystems erfolgt über die Globaltests CH50 und AP50, welche die Funktion des klassischen bzw. des alternativen Aktivierungsweges erfassen. Der CH100-Test gilt als zu wenig sensitiv für die Immundefektdiagnostik. Sind sowohl der CH50 als auch der AP50-Test unauffällig, kann auf weitere Untersuchungen einschließlich der Messung von C3 und C4 verzichtet werden. Die Ausnahme besteht bei Verdacht auf ein hereditäres Angioödem, wo schon initial der C1-Esteraseinhibitor-Mangel (quantitativ und qualitativ) ausgeschlossen werden sollte, da der CH50-Test außerhalb der akuten Krankheitsphase normal ausfallen kann.
Bei anderen Komplementdefekten kann häufig bereits durch die Ergebnisse des CH50- und AP50-Tests der Defekt diagnostiziert werden: Bei erniedrigtem CH50 und normalem AP50 liegt die Störung bei C1, C2 oder C4. In 90 % der Fälle besteht bei Defekten im klasssichen Weg (CH50-Wert) eine Assoziation zur Entwicklung eines Systemischen Lupus Erythematodes (SLE).
Der C2-Mangel ist nach dem C1-Inhibitordefekt der zweithäufigste Komplementdefekt.
Ist CH50 normal, aber AP50 vermindert, muss die Störung im alternativen Aktivierungsweg (B oder D, Properdin) gesucht werden. Sind beide Tests pathologisch, liegt die Störung am ehesten zwischen C3 und C9. In diesem Fall können die entsprechenden Einzelfaktoren untersucht werden oder einige ausgewählte Defekte durch genetische Analysen bestätigt werden.
Die Durchführung der Komplementteste CH50 und AP50 wird bei Verdacht auf einen humoralen Immundefekt in der zuletzt 2011 modifizierten AWMF-Leitlinie „Diagnostik von primären Immundefekten“ schon in Stufe 1 empfohlen, zusätzlich zum Differentialblutbild, den Immunglobulinen, den IgG-Subklassen und dem Mannose-bindenden Lektin (MBL).
Material
2 ml Serum
Ein Probeneingang im Labor innerhalb von 24h muss gewährleistet sein. Das Blut sollte bei Raumtemperatur gelagert und transportiert werden (ggf. abgetrenntes Serum einfrieren und gefroren verschicken).
Literatur
- Y Palarasah et al. Novel assays to assess the functional capacity of the classical, the alternative and the lectin pathways of the complement system. Clin Exp Immunol. 2011; 164: 388–395.
- Tudoran. R, Kirschfink M. Moderne Komplementanalytik – Indikationen – Methodik – Perspektiven, J Lab Med. 2012; 36: 125-134.