Diabetes mellitus in Gynäkologie und Geburtshilfe (aktualisierte DDG-Leitlinien (10/2004))
Definition
Der Diabetes mellitus (D.m.) ist eine durch chronische Hyperglykämie charakterisierte Stoffwechselregulationsstörung auf der Grundlage einer gestörten Insulinsekretion und/oder verminderten Insulinwirkung. Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) hat die von der WHO bestätigten Empfehlungen der Amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) überprüft und in ihre Leitlinie übernommen.
Klassifikation
Die Begriffe Insulinabhängiger Diabetes mellitus (IDDM) und Nichtinsulinabhängiger Diabetes mellitus (NIDDM) sind obsolet, da diese nur die primär verschiedenen Behandlungsstrategien, nicht aber die zugrunde liegenden pathogenetischen Mechanismen widerspiegeln.
I. Diabetes mellitus Typ 1
- absoluter Insulinmangel infolge progredienter Zerstörung der insulinproduzierenden beta-Zellen des Pankreas
- Typ 1A: immunologisch vermittelt -> Auto-Antikörper; HLA-Assoziation
- Typ 1B: idiopathisch -> keine Auto-AK; in Deutschland selten.
Erstmanifestation meist in jungen Jahren.
II. Diabetes mellitus Typ 2
Der Typ 2 ist die in Deutschland häufigste Form des Diabetes.
Der Pathomechanismus beruht hier auf:
- gestörter Insulinsekretion und /oder
- Insulinresistenz
Es liegt keine autoimmune Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen des Pankreas vor.
Neben der genetischen Disposition spielen Übergewicht, falsche Ernährung, mangelnde körperliche Aktivität und höheres Lebensalter eine entscheidende Rolle. Der Begriff „metabolisches Syndrom“ beschreibt das gemeinsame Auftreten von Glukoseintoleranz oder Typ-2-Diabetes mit abdomineller Adipositas und /oder Dyslipoproteinämie und essentieller arterieller Hypertonie. Weitere Facetten des metabolischen Syndroms sind Hyperurikämie, gestörte Fibrinolyse und Hyperandrogenämie bei Frauen.
Sehr häufig kommt es zu Mikro- und Makroangiopathien und Neuropathie.
III. Gestationsdiabetes
Der Gestationsdiabetes ist ein pathogenetisch heterogenes Krankheitsbild mit variierendem Schweregrad und die häufigste Stoffwechselerkrankung in der Schwangerschaft. Weltweit sind ca. 1-5 % der Schwangeren betroffen. Die Schwankungsbreite ist durch die untersuchten unterschiedlichen Populationen und verschiedene dabei angewandte Diagnosekriterien bedingt.
IV. Andere spezifische Typen
Diese sind vergleichsweise selten. Beispielhaft seien genannt: sekundäre Formen bei zystischer Fibrose, Pankreatitis, Neoplasie, Hämochromatose, Endokrinopathien (Cushing, Phäochromozytom u.a.). Weitere Fälle treten postinfektiös auf (CMV, konnatale Röteln) oder sind medikamenten- bzw. chemikalieninduziert.
Klassifikation nach Ausprägung (Gestörte Glukosetoleranz IGT, abnorme Nüchternglukose IFT)
Die gestörte Glukosetoleranz (Impaired Glucose Tolerance, IGT) ist keine eigenständige Diagnose mehr, sondern dient zur Beschreibung des Ausmaßes der Hyperglykämie bzw. des Stadiums der Erkrankung. Mit der Einführung der „abnormen Nüchternglukose“ (Impaired Fasting Glucose, IFG) hat man ein einfacher messbares Äquivalent für die gestörte Glukosetoleranz etabliert.
Empfehlungen zur Diagnose
Während die Manifestation des Diabetes Typ1 in der Regel mit klassischen Symptomen (Polyurie, Polydipsie, Ketoazidose und Gewichtsverlust) einhergeht, ist die Erfassung des Diabetes Typ 2 häufig ein Zufallsbefund. Nachdem die Krankheit oftmals schon Jahre (häufig im Rahmen eines metabolischen Syndroms) verlaufen ist, wird nicht selten die Diagnose erst anhand von mikroangiopathischen (Retinopathie, Neuropathie) oder makroangiopathischen (Myokardinfarkt, apoplektischer Insult) Komplikationen gestellt. Die detaillierten Empfehlungen zur Diagnostik des Diabetes mellitus können Sie weiterhin den Diagnostik-Informationen „Diabetes mellitus-Definition, Klassifikation und Diagnostik entsprechend der aktualisierten DDG-Leitlinien“ (Nr. 161). Inktaktes Proinsulin (Nr. 169) und Diabetes mellitus– Genetik und Autoimmunologie (Nr. 194) entnehmen. An dieser Stelle soll nur auf die Besonderheiten des Gestationsdiabetes liegt vor, wenn mindestens zwei der folgenden Grenzwerte überschritten werden:
Angesichts der Häufigkeit und der bei unbehandeltem Gestationsdiabetes vermehrt auftretenden Schwangerschaftskomplikationen und erhöhten kindlichen Morbidität und Mortalität ist eine rechtzeitige Diagnose dringend erforderlich. Die derzeit von der DDG empfohlenen Grenzwerte entsprechen weitgehend den von der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft (ADA) erstellten schwangerschaftsspezifischen Grenzwerten.
Zuweilen wird ein Screeningtest in der 24.-28. Schwangerschaftswoche mit 50 g Glukose oral empfohlen. Sensitivität und Spezifität des Screeningtestes sind niedriger als beim oralen Glukosetoleranztest mit 75 g Glukose. Da dieser dann aber bei pathologischem Ausfall angeschlossen werden muss, empfehlen wir ihn nicht mehr.
Oraler Glukosetoleranztest (oGTT)
75 g Glukose oral, Bestimmung von Nüchtern-, 1-Std.- und 2-Std.-Blutglukosewert.
Bei einem Nüchtern-Blutglukosewert von ≥ 110 mg/dl (≥ 6,0 mmol/l) im kapillären Vollblut oder ≥ 126 mg/dl (≥7,0 mmol/l) im venösen Plasma sollte kein Test mehr durchgeführt werden.
Ein Gestationsdiabetes liegt vor, wenn mindestens zwei der folgenden Grenzwerte überschritten werden:
| Kapilläres Vollblut | Venöses Vollblut | ||
---|---|---|---|---|
mg/dl | mmol/l | mg/dl | mmol/l | |
nüchtern | ≥ 90 | ≥ 5.0 | ≥ 90 | ≥ 5,0 |
60 Min. | ≥ 180 | ≥ 10.0 | ≥ 165 | ≥ 9.2 |
120 Min. | ≥ 155 | ≥ 8.6 | ≥ 140 | ≥ 7.8 |
Der Grenzwert für Nüchternblutglukose für venöses Plasma ist 95 mg/dl (5,3 mmol/l). Die übrigen Grenzwerte sind identisch mit denen für kapilläres Vollblut.
Wir weisen darauf hin, dass der in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehene Urin-(Streifen)test nur bei ca. 50% der Gestationsdiabetikerinnen positiv ausfällt! Andererseits hat nur etwa die Hälfte aller Schwangeren mit Glukosurie einen Gestationsdiabetes. Der Urinzuckertest ist also in Sensitivität und Spezifität eigentlich unbrauchbar!
PCO-Syndrom und Diabetes mellitus
Das Syndrom der polycystischen Ovarien (PCO, PCOS) ist mit einer Prävalenz von ca. 5 – 12 % eine der häufigsten Endokrinopathien bei Frauen.
Bei einem Großteil der PCOS steht die Hyperinsulinämie im Zentrum der Pathogenese.
Patientinnen mit PCOS können als Hochrisikogruppe für metabolische Störungen und den damit verbundenen Risiken angesehen werden. Sie sollten bereits frühzeitig untersucht und rechtzeitig im Sinne der Primärprävention eines Diabetes mellitus Typ 2 erkannt und behandelt werden. Es scheint daher gerechtfertigt, als Screeningverfahren einen 75 g-oGTT durchzuführen und diesen in 3-5jährigen Abständen zu wiederholen.
Ein Normalbefund liegt vor, wenn
| Kapilläres Vollblut | Venöses Vollblut | ||
---|---|---|---|---|
mg/dl | mmol/l | mg/dl | mmol/l | |
nüchtern | < 90 | < 5.0 | < 90 | < 5.0 |
120 Min. | < 140 | < 7.8 | < 120 | < 6.7 |
Eine gestörte Glukosetoleranz liegt vor, wenn
| Kapilläres Vollblut | Venöses Vollblut | ||
---|---|---|---|---|
mg/dl | mmol/l | mg/dl | mmol/l | |
nüchtern | < 110 | < 6.1 | < 110 | < 6.1 |
und | ||||
120 Min. | 140-199 | 7.8-11.0 | 120-179 | 6.7-10.0 |
Ein Diabetes mellitus liegt vor, wenn
| Kapilläres Vollblut | Venöses Vollblut | ||
---|---|---|---|---|
mg/dl | mmol/l | mg/dl | mmol/l | |
nüchtern | ≥ 110 | ≥ 6.1 | ≥ 110 | ≥ 6.1 |
und/oder | ||||
120 Min. | ≥ 200 | ≥ 11.1 | ≥ 180 | ≥ 10.0 |
Material
Die Diagnose eines Diabetes darf nur mit Glukosewerten gestellt werden, die mit einer qualitätskontrollierten Labormethode (keine Streifenteste) gemessen wurden. Den Blutproben sollte – sofern sie nicht enteiweißt wurden - ein Zusatz zur Hemmung der Glykolyse in den Erythrozyten zugefügt werden. Wenn dieses nicht erfolgt, nimmt die Glukose im Venenblut z.B. bei Raumtemperatur um 6 mg/dl (0,33 mmol/l) pro Stunde ab!
Darum, optimales Probenmaterial ist Natrium-Fluorid-Blut!
Literatur
- Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus -Evidenzbasierte Leitlinie DDG – Aktualisierung 10/2004
- Urdl, W.. Die Behandlung Metabolischer Anomalien bei Frauen mit PCO ; J Fertil. Reprod. 2002; 12(1) 17-22 (AT)
- Schöfl, Ch.; Schill, T.; Geisthövel, F.; Brabant, G: Polyzystisches Ovarialsyndrom und Insulinresistenz: Dtsch Ärztebl 2004; 101: A 346-351 (Heft 6)