PDF Download

Blutungskomplikationen oder Infarkt unter Antikoagulation – wer ist Risikopatient?

Mutationen beeinflussen das Blutungsrisiko unter Vitamin-K-Antagonisten

Eine genetische Variation führt zu einer gesteigerten Sensitivität für Vitamin K-Antagonisten. Betroffene Patienten haben ein signifikant erhöhtes Risiko für schwere Blutungskomplikationen, insbesondere unter der Gabe von Warfarin. Die ursächlichen Mutationen liegen im Drug Target der Vitamin K-Antagonisten VKORC1 (Vitamin K-Epoxid-Reduktase Komplex, Untereinheit1) und in ihrem Hauptabbauenzym CYP2C9 (Cytochrom P450 2C9).

Wirkstoff

Genotyp

Dosis (mg/Tag)

 

Warfarin

VKORC1 1173-C/C;
CYP2C9*1/*1

6,94

 

VKORC1 1173-T/T;
CYP2C9*1/*3

1,92

Phenprocoumon

VKORC1 1173-C/C;
CYP2C9*1/*1

2,95

 

VKORC1 1173-T/T;
CYP2C9*1/*3

1,27

Acenocoumarol

VKORC1 1173-C/C;
CYP2C9*1/*1

3,10

 

VKORC1 1173-T/T;
CYP2C9*1/*3

1,38

Empirisch ermittelte, durchschnittliche Erhaltungsdosis von Vitamin K-Antagonisten bei Kaukasiern, in Abhängigkeit des CYP2C9- und VKORC1-Genotyps (hier aufgeführt für zwei mögliche Konstellationen, VKORC1 1173-C/C; CYP2C9*1/*1 entspricht der normalen Wildtypform). Auszug aus Stehle et al., 2008.

Vitamin K-Antagonisten (hier Phenprocoumon) verhindern die Bildung von aktivem Vitamin K durch Hemmung von VKORC1. Die Synthese von Vitamin K-abhängigen Gerinnungsfaktoren wird nicht aktiviert, die Blutgerinnung auf diese Weise unterbunden. Phenprocoumon wird durch CYP2C9 abgebaut.

Eine genetische Variante erhöht das Infarktrisiko unter Clopidogrel-Therapie

Die Umwandlung von Clopidogrel in seinen therapeutisch wirksamen Metaboliten läuft bei etwa 30% der Europäer genetisch bedingt verzögert ab. Ursache ist eine Funktionsminderung des für die Biotransformation verantwortlichen CYP2C19 (Cytochrom P450 2C19). Die Folge ist ein erniedrigter Spiegel des aktiven Wirkstoffs und ein signifikant erhöhtes Risiko für myokardiale und cerebrale Infarkte.

Die CYP2C19-Enzymaktivität ist wichtig für die Bildung der aktiven Clopidogrel-Metabolite. Erst durch sie wird die gewünschte Hemmung der Thormbozytenaggregation erzielt.

Interaktionen spielen eine kritische Rolle

Zusätzlich zu genetisch bedingten Störungen können Arzneimittelinteraktionen die eingestellte Antikoagulation empfindlich stören und lebensbedrohliche Blutungen oder Blutgerinnsel verursachen.

  • Die Wirkung von Clopidogrel wird durch Protonenpumpen-Hemmer (z.B. Omeprazol) gehemmt.
  • Phenprocoumon wird durch Komedikation mit einigen Antidepressiva in seiner Wirkung verstärkt (z.B. Citalopram, Clomipramin, Fluoxetin, Paroxetin, Venlafaxin).
  • Johanniskraut und Carbamazepin reduzieren die Wirkung von Phenprocoumon.
  • Komedikationen können die Dosiseinstellung von Vitamin K-Antagonisten auch  instabilisieren (z.B. Amitriptylin, Clozapin, Haloperidol).

Indikationen für die Pharmakogenetik von Clopidogrel (CYP2C19)

  • Zu Beginn einer Therapie als Anhaltspunkt bei der Dosisanpassung
  • Während der Therapie zur Einschätzung des Infarktrisikos

Indikationen für die Pharmakogenetik von Vitamin K-Antagonisten (VKORC1 + CYP2C9)

  • Zu Beginn einer Therapie mit Warfarin als Anhaltspunkt bei der Dosisanpassung
  • Unter Warfarin-Therapie zur Einschätzung des Risikos für Blutungskomplikationen
  • Zu Beginn oder während einer Therapie mit Phenprocoumon oder Acenocoumarol zur Abklärung des Blutungsrisikos

Indikationen für ein therapeutisches Drug Monitoring (TDM) von Antikoagulantien

  • Zur Differentialdiagnose bei Verdacht auf eine gestörte Patientencompliance

Die eigentliche Überwachung der Wirksamkeit erfolgt mittels Bestimmung der INR bzw. Messung der Impedanz oder Thrombozytenaggregation.

Molekulargenetische Analyse

Nach Extraktion genomischer DNA aus EDTA-Blut oder einem Wangenschleimhautabstrich erfolgt die Untersuchung durch PCR und anschließende Schmelzkurvenanalyse oder Hybridisierung. Folgende Genvarianten werden detektiert: VKORC1 G-1639A und C1173T; CYP2C9 *2 und *3; CYP2C19 *2.

Abrechnung

Die Untersuchung wird von Privaten Krankenkassen übernommen. Eine Abrechenbarkeit im kassenärtzlichen Bereich ist leider derzeit nicht gegeben. Für Selbstzahler entstehen Kosten in Höhe von 99,09 € (Clopidogrel) bzw. 186,52 € (Vitamin K-Antagonisten).

Literatur

  • Mega et al., 2009. Cytochrom P450 Polymorphisms and Response to Clopidogrel. NEJM 360:354-362.
  • Schalekamp et al., 2007. VKORC1 and CYP2C9 Genotypes and Phenprocoumon Anticoagulation Status: Interaction Between both Genotypes Affects Dose Requirements. Clin Pharm Ther 81:185-193.
  • Stehle et al., 2008. Pharmacogenetics of Oral Anticoagulants. Clin Pharmacokinet 47:565-594.
  • The International Warfarin Pharmacogenetics Consortium, 2009. Estimation of Warfarin Dose with Clinical and Pharmacogenetic Data. 360:753-764.