Abklärung einer Anämie
Die Anämie ist definiert als eine Verminderung der Hämoglobinkonzentration unterhalb des alters- und geschlechtsspezifischen Referenzintervalls. Die häufigsten Symptome sind Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Blässe, Kopfschmerz, Belastungsdyspnoe, Tachykardie und Schwindel. Daneben gibt es auch eine Definition der WHO, die altersabhängig Entscheidungsgrenzen für beide Geschlechter vorsieht. Ethnische Besonderheiten werden hierbei nicht berücksichtigt. Wir empfehlen daher, das lokal gültige Referenzintervall als Entscheidungsgrenze einzusetzen.
Ursachen von Anämien und Stufendiagnostik zur Abklärung
Die Anämie ist für sich genommen immer ein Symptom einer zu Grunde liegenden Erkrankung oder eines Mangelzustands. Die Ursache sollte daher immer abgeklärt werden. In Frage kommen:
- verminderte Bildung der Erythrozyten, also eine Hypooder Aplasie der Erythropoese (z.B. bei Knochenmarksschädigung oder aplastischer Anämie),
- ineffektive Erythropoese (z.B. bei Mangel von Vitamin B12 oder Folsäure, Myelodysplastischem Syndrom,
- verminderte Hämoglobinbildung (z.B. beim Eisenmangel), • eine Verteilungsstörung (z.B. in der Schwangerschaft),
- Verkürzung der Überlebenszeit der Erythrozyten im peripheren Blut (Hämolyse oder Blutung).
Die Kommission „Labordiagnostische Empfehlungen“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat Empfehlungen für eine Stufendiagnostik bei Anämien veröffentlicht, die wir Ihnen im Folgenden vorstellen möchten.
Der erste Schritt bei klinischem Verdacht auf Anämie sollte die Anforderung eines großen Blutbilds sein. Dies gibt nicht nur Aufschluss über die Hämoglobinkonzentration, sondern auch über die Bildung weiterer Zellreihen (Thrombozyten und Granulozyten). So kann eine generelle Störung der Hämatopoese im Knochenmark von isolierten Störungen der Erythropoese abgegrenzt werden. Die weiteren Schritte der Diagnostik hängen von den Erythrozytenindizes MCV (mittleres korpuskulares Volumen) und MCH (mittlerer korpuskulärer Hämoglobingehalt) ab. Auf Grund dieser Kriterien können die Anämien in die folgenden Kategorien eingeteilt werden.
Hypochrome mikrozytäre Anämie (MCV und MCH niedrig)
Die häufigsten Ursachen hierfür sind Eisenmangel, Thalassämien oder andere Hämoglobinopathien. Der erste Schritt in der Abklärung ist die Bestimmung der Ferritinkonzentration. Ein niedriges Ferritin ist immer ein Hinweis auf eine Entleerung der Eisenspeicher und somit beweisend für eine Eisenmangelanämie. Allerdings schließt ein normales oder sogar erhöhtes Ferritin einen Eisenmangel nicht aus. Ferritin gehört zur Gruppe der Akute-Phase-Proteinen, die bei Entzündungen erhöht sein können.
In einem solchen Fall ist daher als nächster Schritt der Diagnostik die Bestimmung von CRP und des löslichen Transferrin-Rezeptors (sTFR) notwendig. Der sTFR spiegelt den „Eisenhunger“ der Erythropoese wider und verändert sich auch bei einer Entzündungsreaktion nur wenig. Eine Erhöhung des sTFR spricht also auch bei erhöhtem CRP für eine Eisenmangelanämie (Diagnostikinformation „Eisenstoffwechsel“).
Alternativ kann der Nachweis eines funktionellen Eisenmangels über die Bestimmung des Retikulozyten-HämoglobinÄquivalents (RET-He) erfolgen. Dieser Parameter wird bei der Messung der Retikulozyten automatisch mitbestimmt und gibt Aufschluss über die aktuelle Hämoglobinisierung dieser Erythrozytenvorläufer. Ein verringertes RET-He belegt also eine aktuelle Verminderung des Eisenangebotes für die Erythropoese. Das RET-He kann jedoch nicht unterscheiden, ob dieser Eisenmangel auf der Basis eines verminderten „Eisenpools“ im Körper oder auf der Basis einer verminderten Bereitstellung im Rahmen einer Akut-PhaseReaktion oder bei chronischen Erkrankungen handelt.
Ergibt sich bei diesen Untersuchungen kein Hinweis auf einen Eisenmangel, sollte als weiterführende Diagnostik eine Hämoglobin-Elektrophorese erfolgen. Hierdurch können zuverlässig die meisten Hämoglobinopathien nachgewiesen werden (Diagnostikinformation „Hämoglobinopathien“).
Normochrome normozytäre Anämie (MCV und MCH normal)
Bei einer normochromen normozytären Anämie stellt sich zunächst die Frage, ob sie durch einen Verlust oder durch eine verminderte Neubildung von Erythrozyten verursacht wird. Diese Frage lässt sich durch die Bestimmung der Retikulozyten beantworten. Die physiologische Reifungszeit der Retikulozyten beträgt vier Tage: drei Tage im Knochenmark und ein Tag im peripheren Blut. Bei einer Anämie verkürzt sich die Reifezeit im Knochenmark, weil auch die unreiferen Zellen ins periphere Blut abgegeben werden. Eine Erhöhung der Retikulozytenzahl im peripheren Blut bei einer Anämie kann also auf einer verstärkten Erythropoese und/oder einer verlängerten Reifungszeit im Blut beruhen und bedeutet nicht per se, dass die Erythropoese ausreichend ist. Dies kann mit Hilfe des Retikulozytenproduktionsindex (RPI) beantwortet werden. Dies ist ein Index, der die Retikulozytenzahl ins Verhältnis zum Ausmaß der Anämie setzt. Bei einem RPI>3 kann von einer adäquaten Erythropoese ausgegangen werden. Bei einer Änamie mit einem RPI<2 ist eine hypoplastische oder ineffektive Erythropoese wahrscheinlich.
Liegt eine Anämie mit einer ausreichenden Erythropoese vor, dann ist ein nicht ausreichend kompensierter Verlust von Erythrozyten die wahrscheinlichste Ursache der Anämie.
Hierfür kommen entweder Blutungen oder eine Hämolyse in Frage. Eine okkulte Blutung sollte durch einen Stuhltest auf Hämoglobin weiter abgeklärt werden (folgt demnächt: Diagnostikinformation „Okkultes Blut im Stuhl“).
Der Nachweis einer Hämolyse erfolgt in erster Linie durch ein vermindertes Haptoglobin. LDH und Bilirubin können erhöht sein, sind aber weniger spezifisch (folgt demnächt: Diagnostikinformation „Abklärung einer hämolytischen Anämie“).
Eine verminderte Erythropoese macht eine umfangreiche Differentialdiagnostik notwendig. Diese umfasst mindestens die Suche nach einer chronischen Entzündung, den Ausschluss einer chronischen Nierenkrankheit und einer Lebererkrankung (folgt demnächt: Diagnostikinformation „Labordiagnostik bei Lebererkrankungen“, folgt demnächt: Diagnostikinformation „Chronische Nierenerkrankungen“). Neben diesen Ursachen kommen auch eine direkte Schädigung oder Erkrankung des Knochenmarks in Frage, so dass gegebenenfalls eine weitere fachärztliche Diagnostik mit Knochenmarkuntersuchung notwendig sein kann.
Hyperchrome makrozytäre Anämie
Bei der Abklärung dieser Anämieform steht zunächst der Ausschluss des Mangels der Vitamine B12 und Folsäure im Vordergrund, die hierfür die häufigsten Ursachen sind (Diagnostikinformation „Diagnostik des Vitamin-B12- Mangels“).
Wenn eine megaloblastäre Anämie ausgeschlossen werden kann, stellt sich auch hier die Frage nach einem Verlust von Erythrozyten oder einer verminderten Eryhropoese. Diese wird wie bei der normochromen nomozytären Anämie durch die Bestimmung der Retikulozyten/RPI differenziert. Bei adäquater Erythropoese stellt sich wiederum die Frage nach einer Hämolyse oder einer stattgehabten Blutung. Eine verminderte Erythropoese sollte fachärztlich weiter abgeklärt werden. Hier kommen toxische Ursachen (Alkohol, Medikamente), aber auch hämatologische Erkrankungen (z.B. Myelodysplastisches Syndrom) in Frage.
Material
Blutbild, Retikulozyten, Hb-Elektrophorese: 1 EDTA-Vollblut
Übrige Parameter: 3 ml Vollblut ohne Zusätze/Serum
Ein Probeneingang im Labor innerhalb von 24 Stunden (24h) muss gewährleistet sein. Das Blut sollte bei Raumtemperatur gelagert und transportiert werden. Innerhalb der Berliner Stadtgrenzen bieten wir Ihnen unseren Fahrdienst an (+49 30 7701-250), für überregionale Abholungen kontaktieren Sie bitte den kostenfreien Kurierservice unter +49 30 77001-450. Das Blutentnahme- und Versandmaterial wird vom Labor kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Abrechnung
Eine Abrechnung ist bei gegebener Indikation im kassenund privatärztlichen Bereich gegeben.
Literatur
- KBV-Empfehlungen zur Labordiagnostik www.kbv.de/html/anaemie.php zuletzt abgerufen am 24.5.2024
- Hofmann, Walter, Aufenanger, Johannes and Hoffmann, Georg. Klinik handbuch Labordiagnostische Pfade: Einführung - Screening - Stufendiagnostik, Berlin, Boston: De Gruyter, 2014.
- Onkopedia-Leitlinie Eisenmangel- und Eisenmangelanämie 2022 www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/eisenmangelund-eisenmangelanaemie/@@guideline/html/index.html zuletzt abgerufen am 24.5.2024