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Cortisol im Speichel für die Stressdiagnostik

Stress und seine Folgen

Stress ist ein Risikofaktor für viele multifaktoriell bedingte Erkrankungen, z.B. Atopie und Autoimmunerkrankungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, auch Blutdruck- und Herzerkrankungen sind davon nicht ausgenommen. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es zudem nicht allein die physiologische Stressantwort, die den Erkrankungsprozess fördert, sondern (häufig bedingt durch chronische Aktivierung) eine Fehlregulation des neuroendokrinen Systems. Die beteiligten Stressachsen können anhand von Laborparametern untersucht werden, um Ursachen und Therapiemöglichkeiten zu ergründen. Speichelparameter werden seit Jahren erfolgreich dafür verwendet.

Die HHN-Achse und die SAM-Achse sind die Hauptkomponenten des neurokrinen Systems

Stress wird über unterschiedliche Wege im Körper verarbeitet. Im Hypothalamus, wo die „Gefühle zu Biochemie gerinnen“ (Ärztin Marianne Krug, akana Hormonakademie), werden einerseits neuronale Signale an das Rückenmark gegeben und der Sympathikus aktiviert, der das Nebennierenmark innerviert. Dabei wird letztendlich Noradrenalin freigesetzt. Diese Signalkette wird SAM (Sympathikus-Adrenomedulla)–Achse genannt. Im Hypothalamus wird unter Stress auch CRH (Corticotropin Releasing Hormone) freigesetzt, welches eine Signalkaskade namens HHN (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden)-Achse initiiert. Die HHN-Achse mündet u.a. in der Produktion und Freisetzung von Cortisol aus der Nebennierenrinde. Beide Achsen unterliegen einer Art Homöostase, die eine streng regulierte Rhythmik über den Verlauf des Tages (zirkadiane Rhythmik) beschreibt. Ist diese Rhythmik gestört, kann dies an einer Fehlregulation im neuroendokrinen System liegen. Je nachdem, welcher Teil des Neuroendokrinen Systems betroffen ist, gibt es unterschiedliche Symptome und therapeutische Möglichkeiten.

Abb. 1  Schema nach Martin Pall, modifiziert und vereinfacht. Umweltbelastungen spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung multifaktoriell bedingter Erkrankungen. Belastungen können von einem veränderten Porphyrin-Muster begleitet werden, das daher als Biomarker für Hintergrundbelastungen gemessen werden kann.

Das Steroidhormon für die Stressbewältigung: Cortisol

Cortisol ist als wichtigstes Stresshormon bekannt. Seine niedermolekulare Steroidstruktur erlaubt ihm die freie Diffusion durch Zellen, während seine Funktionalisierungen es zu einem spezifischen Liganden für zahlreiche Rezeptoren nahezu überall machen. Die mannigfaltigen Wirkungen von Cortisol können grob eingeteilt werden in immunmodulierende und metabolische Funktionen.

  1. Immunmodulierende Funktionen:
    Über die Interaktion mit Rezeptoren reguliert Cortisol die Expression anti-inflammatorischer Proteine hoch und die Expression pro-iflammatorischer Proteine herunter. So kommt es zu seiner bekannten immunsupprimierenden sowie entzündungshemmenden Wirkung.
  2. Metabolische Funktionen:
    Cortisol erhöht den Blutzucker, stimuliert die Glukoneogenese und die Lipolyse und führt zur Mobilisierung von Ressourcen für diese beiden Prozesse. Des Weiteren werden Blutdruck und Hämoglobinkonzentration im Blut erhöht, kurzum: alles, was für die kurzfristige Bereitstellung von viel Energie nötig ist.

Ebenso wichtig wie die vorangegangenen zwei Punkte ist eine Hemmung der CRH-Ausschüttung bei hohem Cortisolspiegel, die zum Rückgang der Cortisolfreisetzung und zu einer Beendigung der Stressantwort führt.

Cortisol als Biomarker der HHN-Achse

Die Produktionsleistung der Nebenniere bestimmt maßgeblich den Cortisolhaushalt. Daher eignet sich Cortisol zur Überwachung dieser Leistung. Die Untersuchung der Nebennieren anhand des Cortisol/Cortison-Tagesprofils, das Cortisol und die inaktive Depotform Cortison in drei zweistündigen Zeitfenstern an einem Tag bestimmt, ist schon seit langem etabliert. Hypo- oder Hypercorticolismus sind in diesem Profil erkennbar. Die aufs Erwachen bezogene Tagesrhythmik ist ein besonders sensibles Frühwarnsystem, welches sich auf die Regulation der HHN-Achse konzentriert.

Die Cortisol – Tagesrhythmik

Unmittelbar vor dem Erwachen steigt die Cortisolkonzentration im Speichel an, um etwa 30 Minuten nach dem Erwachen ihren Höhepunkt zu erreichen. Dieser Anstieg um idealerweise mindestens 60% wird als Cortisol-Aufwachreaktion (bzw. Cortisol Awakening Response, CAR) bezeichnet und zeigt die Regenerationsfähigkeit der HHN-Achse. Eine Stunde nach dem Erwachen ist die Cortisolkonzentration bereits wieder stark gesunken, um über den restlichen Tag weiter abzusinken.

Aussage der Speicheldiagnostik

Eine abweichende Cortisol-Tagesrhythmik kann auf durchgehende Cortisolüberproduktion (Hypercorticolismus) oder -mangel (Hypocorticolismus) hinweisen. Eine reduzierte oder ausbleibende Cortisol-Aufwachantwort kann auf eine beeinträchtigte oder fehlende Regenerationsfähigkeit der Nebenniere infolge chronischer Belastung hinweisen. Beidem liegt meistens eine Dysregulation der Hypophysen-HypothalamusNebennierenrinden (HHN)-Achse zugrunde. Anhand dieser Hinweise können Schutzmaßnahmen für die Nebenniere in Form von Schlaf- und Ernährungstherapie, aber auch medikamentöse Behandlungen ergriffen werden.

Chronischer Stress und das Immunsystem

Bei chronischem Stress kommt es zu einer erhöhten Freisetzung von entzündungsfördernden Zytokinen an verschiedenen Stellen im Körper. Cortisol kann die Wirkung dieser Zytokine hemmen. Die HHN-Achse wirkt der Entzündung entgegen, was zunächst zu einem erhöhten Cortisolspiegel führt, und letztendlich in einer Cortisolresistenz der Immunzellen und einer Schädigung des Neuroendokrinen Systems gipfeln kann.

Sekundäre Nebennierenerschöpfung

Dieser Zustand wird Nebennierenerschöpfung, -insuffizienz, oder auch Adrenal Fatigue genannt. Die Nebennieren erschöpfen sich im Verlauf dieser Krankheit nachhaltig durch die Überproduktion von Cortisol. Sie sind dadurch letztendlich nicht mehr imstande, ausreichend Cortisol zu produzieren. Das hat auch weitreichende Folgen im Rest des Körpers. Diese sekundäre Nebennierenerschöpfung ist reversibel. Primäre organische Erkrankungen der Nebenniere (NNTumor, Morbus Addison, Morbus Cushing) kommen dagegen relativ selten vor und benötigen eine andere Behandlung.

Labordiagnostik

Die Cortisolkonzentration im Speichel wird mittels Chromatographie und Tandem-Massenspektrometrie ermittelt (LCMS/MS). Für die Aussagekraft der Speicheluntersuchung ist die Einhaltung der Abnahmezeiten wichtig (siehe Anleitung zur Speichelabgabe).

Material

500 µl Speichel in einer Cortisol-Salivette pro Untersuchung
Das Speichelabnahme- und Versandmaterial wird vom Labor kostenfrei zur Verfügung gestellt. Der Transport ins Labor ist nicht zeitkritisch und kann per Postversand erfolgen.

Abrechnung

Eine Abrechnung ist nur im privatärztlichen Bereich (GOÄ) gegeben. Die Kosten kostet für die Gesamttagesrhythmik, Teilabschnitte Cortisol Awakening Response und Tagesrhythmik entnehmen Sie bitte dem PDF-Dokument.

Literatur

  • Sandeep Kumar Vashist, & E. Marion Schneider. (2014). Editorial: Depression: An Insight and Need for Personalized Psychological Stress Monitoring and Management. Journal of Basic & Applied Sciences, 10, 177–182.
  • Strahler J, Skoluda N, Kappert MB, Nater UM. Simultaneous measurement of salivary cortisol and alpha-amylase: Application and recommendations. Neurosci Biobehav Rev. 2017 Dec;83:657-677. doi: 10.1016/j. neubiorev.
  • Hellhammer DH, Wüst S, Kudielka BM. Salivary cortisol as a biomarker in stress research. Psychoneuroendocrinology. 2009 Feb;34(2):163-171.